Dienstag, 10. September 2019

[Werbung/kostenloses Rezensionsexemplar] Die Einsamkeit der Seevögel - Gøhril Gabrielsen

Zusammenfassung: 
Eine Wissenschaftlerin reist mitten im Winter nach Finnmark, dem äußersten Zipfel Norwegens. Dort möchte sie das Schwinden der Zugvögelpopulationen und die Klimaveränderungen untersuchen. Fern jeder Zivilisation findet sie Freiheit und Luft zum Atmen, nach der sie sich in ihrer gescheiterten Ehe so gesehnt hatte.

Ganz allein, umgeben von endlosem Schnee, tosendem Meer und rauen Naturgewalten, wartet sie auf die Ankunft der Vögel. Und auf ihren Geliebten, der mit ihr die Einsamkeit teilen will. Doch warum verschiebt er seine Ankunft? Woher kommen die seltsamen Geräusche in ihrer Hütte? Und war es der Wind, der ihr über den Körper strich, oder ist sie doch nicht allein?

Als die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahn, Gegenwart und Vergangenheit immer mehr verschwimmen, muss sie sich endgültig dem stellen, was sie hinter sich gelassen hat.

Meine Meinung: Mein erster Gewinn bei Lovelybooks. Angemeldet bin ich da zwar schon ewig, aber damals war mir das Ganze irgendwie zu unübersichtlich. Nun hab ich letztens aber doch mal wieder reingeschaut und bin nun voll drin. Tommy schlägt schon die Hände überm Kopf zusammen :D.
Ich war auch sehr in love, als das Päckchen ankam und ich darin nicht nur das Buch sondern ein paar liebevoll gewählte Beigaben enthalten waren. Schön, oder?
Nun aber zum Buch.

Es wird relativ schnell klar, dass es drei verschiedene Ebenen während der Erzählung gibt. Die erste ist logischerweise die Forscherin und ihre Arbeit draußen in der Natur. Dann gibt es die Teile, in denen sie in Rückblenden von sich und ihrer Familie und ihrer Zeit mit Jo erzählt und dann noch die, in der sie sich den Alltag der Familie ausmalt, die vor 140 Jahren dort gelebt hat, wo nun ihre kleine Hütte steht. Von deren Geschichte hat sie bei ihrer Ankunft in einer Broschüre gelesen und die Geschichte der Frau, die damals an dem Ort gelebt hat, an dem sie nun selbst forscht, ähnelt ihrer Situation in vielerlei Hinsicht. Das verleiht dem Roman noch mehr Vielschichtigkeit.

Das Thema ihrer Forschung (die Auswirkungen des Klimawandels auf das Verhalten und die Population der Seevögel) fügt sich außerdem wunderbar in die sehr aktuellen politischen Diskussionen um dieses Thema ein. Dennoch liegt hier bei weitem nicht das Hauptaugenmerk. Viel mehr dient ihre Arbeit ihr als Ablenkung von ihren Sorgen. Dies spiegelt sich auch in der Sprache und der Erzählung wider. Man bemerkt zum Beispiel immer wieder sehr schön den Unterschied, wenn sie zu Beginn eines Kapitels die harten, unumstößlichen Wetterfakten aufzählt und anschließend in emotionale Erinnerungen abdriftet, die sie im Gegensatz zu den Fakten nicht einsortieren kann und auch überhaupt nicht weiß, wie sie damit umgehen soll.

Die klare und messbare Sprache der Phänomene - das ist es, was ich brauche. Eine Sprache, die unerschütterliche Tatsachen schafft, keine stummen, vagen Ahnungen. Einen Wind, der sich in Stundenkilometern messen lässt, kann ich analysieren und bis zu einem gewissen Punkt verstehen, im Gegensatz zu Gefühlen, die sich jeglicher objektiven Messbarkeit entziehen.

Hier sehe ich auch ein schönes stilistisches Zusammenspiel zwischen ihrem aufgewühlten Innenleben und der zwar rauen, dafür aber verlässlichen und einsamen Natur um sie herum.

Es ist keine Geschichte, die man mal eben nebenher wegliest (zumal es teilweise wirklich bedrückend wird, vor allem wenn sie von der Trennung von ihrem Mann erzählt. Manche Situationen sind wirklich beängstigend). Dennoch kann man der Geschichte gut folgen ohne dass man das Gefühl hat, Sätze zwei oder drei Mal lesen zu müssen.

Die Sprache ist zudem einfach wunderbar poetisch und atmosphärisch. Zum Beispiel: "Die Geräusche werden lauter und leiser, sind im Einklang und dann wieder nicht, eine Sinfonie, auf deren Oberfläche sie dahintreibt, bis sie immer schwerer und träger hineinsinkt und schließlich einschlummert."

Oder auf Seite 60 heißt es "Auf der Ebene oder wenn ich über das Plateau fahre, begegnet es mir überall. Das, was ich nicht weiß. Was ich nicht vollkommen begreife. Von Wind und Wetter und Himmel und Meer. Oder von den Seevögeln und ihrer Wanderung in die Kolonien. Ich weiß und weiß auch wieder nicht. Und genauso denke ich über mich und mein Leben." Tolle Bilder, die da im Kopf entstehen und die das Beschriebene viel greifbarer machen für den Leser. Ebenso gut gefallen mir die sehr lebhaften Beschreibungen, wie sie sich den Alltag der Familie vorstellt, die vor 140 Jahren dort gelebt hat. Sehr gefühlvoll und detailreich wird beschrieben, wie sie sich dort eingerichtet und gelebt haben könnten.

Obwohl objektiv gesehen wirklich nicht viel passiert, gelingt es der Autorin wunderbar, die Spannung immer weiter steigen zu lassen. Denn im Inneren der Forscherin spitzt es sich immer mehr zu und der Leser fragt sich zunehmend (und zusammen mit der Protagonistin), was Realität und was Einbildung ist. Es passieren immer mehr Dinge, die ihre Paranoia steigern (Nachrichten von ihrem Ex, ein kleiner Unfall etc.). Dafür vermisst sie ihren Geliebten Jo immer mehr.

Das Ende ist abrupt und unbefriedigend. Aber ich finde es dennoch gut. Geradezu genial. der Leser muss genau so leiden wie die Hauptfigur und gerade deshalb wird das Buch im Gedächtnis haften bleiben. Am Ende passt es auch einfach genau so wunderbar zu der Geschichte. Irgendwo fiel der Vergleich mit Shutter Island und tatsächlich ist das ein ziemlich guter Vergleich. 

Alles in allem ein tolles Gedankenexperiment mit toller Naturbeschreibung und großartigem psychologischen Einfühlungsvermögen. Ich bin begeistert!

Titel und Cover: Das Cover ist wunderschön und zeigt die raue, irgendwie aber auch friedvoll anmutende Natur, in der die Forscherin sich bewegt. Den Titel finde ich ebenfalls gut gewählt. Eigentlich sind es ja nicht die Vögel, die einsam sind, sondern eher die Forscherin. Aber in der Natur vor Ort sind sie dann doch gemeinsam die einzigen Lebewesen.

Würdest du dieses Buch erneut lesen? Ja. Und am liebsten auch mal, während ich alleine in einer einsamen Hütte Zeit verbringe. Würde bestimmt einen gewissen Kick geben ;) (würde aber sehr gut ohne verrückten Ex-Mann auskommen, danke! ;))

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