Montag, 24. Mai 2021

[Kostenloses Rezensionsexemplar] Gefangen und Frei - David Sheff


 Zusammenfassung: Eine schreckliche Kindheit, die falschen Freunde und mehrere Straftaten - Jarvis Jay Masters Leben war geprägt von Hass und Gewalt. 1990 wird ihm ein Mord an einem Gefängniswärter angehängt, und er wird zum Tode verurteilt. Masters ist voller Wut, hat Panik-Attacken und weiß keinen Ausweg mehr. Bis er eines Tages den Rat bekommt, es mit Meditation zu versuchen. Zunächst zweifelt Masters an der Wirksamkeit des buddhistischen Weges und es graut ihm davor, die Augen im Gefängnis zu schließen. Doch eines Tages beginnt er dennoch zu meditieren und gewinnt eine völlig neue Sicht auf sein Leben.

Bestsellerautor David Sheff beschreibt Masters tiefgreifende Transformation vom Straftäter zu einem praktizierenden Buddhisten, der Gewalt auf dem Gefängnishof verhindert und Gefangenen - und Wachen - hilft, einen Sinn in ihrem Leben zu finden. Die Lehre des Buddhismus von einer völlig neuen, tief bewegenden Seite.

Die Reise eines Mannes, die tief berührt und klar macht: Du kannst frei sein, egal wo du bist. Dein Leben kann jeden Tag neu beginnen.

Meine Meinung: Als ich das Buch als Leseprobe bei Vorablesen gesehen habe, hat es mich zwar sofort interessiert, ich war aber auch sehr skeptisch. Ich hatte eine blumige, viel zu esoterische Geschichte erwartet, die mit der Realität nicht viel zu tun hat. Doch zumindest die Leseprobe war davon weit entfernt und so hab ich mich in den Lostopf geworfen und siehe da: Gewonnen :)
Das Buch kam an und ich habe sofort angefangen damit. Und was soll ich sagen? Es hat mich gecatcht und von der ersten Seite an berührt. Es geht los mit dem Kennenlernen von David und Jarvis und mit der Kindheit und Delikt, für das Jarvis letztendlich zum Tode verurteilt wurde.
Anschließend geht es erst richtig los. Man erfährt von Jarvis' Anfangszeit im Knast und wie frustriert, ängstlich und vor allem wütend er ist. Dieser Zustand frisst ihn auf. Jeden Tag hat er Angst  vor seiner Hinrichtung und Albträume davon. Hinzu kommt der Gefängnisalltag, die Aussichtslosigkeit, die Gewalt, die Einsamkeit. Wenn er mal Besuch bekommt, verprellt er ihn. Seine Schwester besucht ihn mit einem ihrer Kinder, er ist höhnisch und aggressiv. Doch irgendwann besucht ihn eine Gefängnisaktivistin, die sich für die Rechte von Gefangenen und für Verbesserung ihres Alltags einsetzt. Sie leistet ihm Gesellschaft, interessiert sich für ihn, stellt ihn weiteren Menschen vor. Unter anderem einer praktizierenden Buddhistin. Immer häufiger besucht sie ihn, hört sich seine Sorgen an und erzählt ihm von der Praxis der Meditation. Irgendwann probiert Jarvis es aus und auch, wenn es ihm nur sehr langsam gelingt: Er lässt sich drauf ein. Denn was hat er zu verlieren. Immer besser gelingt es ihm, sich auf das Hier und Jetzt einzulassen, sich den Ängsten zu stellen und sich zumindest eine Zeitlang zu vergessen. 

"Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass uns Gedanken über die Zukunft eigentlich nur quälen. [...] Wenn ich aber im gegenwärtigen Augenblick bin, so wie jetzt mit dir, dann geht es mir gut."

Er beginnt, sich auch für andere Aspekte des Buddhismus´ zu interessieren, lernt einen Lama kennen, praktiziert immer mehr. Und nicht nur das: Er setzt sich mit dem auseinander, was er erlebt hat. Er verarbeitet es, beginnt, sich zu verstehen. Und er spürt, welche Erleichterung das sein kann.

"Hass kostet eine Menge Energie. Wenn ich ihn aber loslasse...fühle ich mich...", er suchte nach dem passenden Ausdruck: "...befreit!".

Er erkennt, dass er auch anderen Mitgefangenen diese Erleichterung verschaffen möchte und gibt sein erlerntes Wissen weiter. Selbst Wärtern hört er zu, wenn sie ihm von Problemen berichten.
Das alles wird auf eindringliche, aber nicht übertriebene Art und Weise erzählt. Natürlich hat Jarvis Ups und Downs. Er ist und bleibt in der Todeszelle. Aber seine Freunde und seine Meditationen halten ihn aufrecht. Er schreibt Bücher, lernt eine Frau (von draußen) kennen, verliebt sich, heiratet im Knast und er kämpft irgendwann sogar für seine Freilassung, unterstützt von denen, die ihn kennen und schätzen gelernt haben und rappelt sich nach jedem Rückschlag wieder auf.

Ich möchte hier kein falsches Bild vermitteln: Natürlich ist mir klar, dass das kein normaler Werdegang für einen Kandidaten in der Todeszelle ist. Es gibt sicher viele, bei denen Hopfen und Malz verloren ist, keine Frage. Dennoch klingt die Schilderung zu diesem Fall für mich authentisch und das, was ich über Google rausfinden konnte, bestätigt die Geschichte. Sein Buch "Finding Freedom" scheint in amerikanischen Gefängnissen echte Berühmtheit erlangt zu haben. Und ich sag es mal so: Keine Ahnung, ob er das, wofür er zum Tode verurteilt wurde, wirklich getan hat und so oder so war er vorher schon kriminell und das gehört bestraft, Basta! Ich bin übrigens nicht mal ein kompletter Verweigerer der Todesstrafe. Ich glaube, es gibt einige wenige Menschen auf dieser Welt, die so krank und gestört sind, dass keine Therapie der Welt sie heilen kann. Aber was ich absolut unmöglich finde: Jemanden dazu zu verurteilen, wenn es nicht absolut stichfeste Beweise gibt. Und ebenso, wie in Jarvis Fall, ihn jahrzehntelang irgendwo vor sich hin vegetieren zu lassen.
Wenn ich schon jemanden 30 Jahre in diesen Umständen einsperre, dann könnte ich irgendwann mal ehrlich überprüfen, ob sich da was getan hat in der persönlichen Entwicklung. Dafür gehen ja immerhin auch Steuergelder drauf, und vermutlich nicht zu knapp. Und eines hat Jarvis ganz sicher getan wie wenig andere, ob innerhalb oder außerhalb von Gefängnismauern: Er hat sich intensiv mit sich selbst auseinandergesetzt. Er hat bereut, sich geschämt, sich um Wiedergutmachung bemüht, an sich gearbeitet. Ist es nicht das, was Knast bewirken soll?

Ich kann jedenfalls sagen, dass dieses Buch mich sehr zum Nachdenken angeregt hat. Es hat mich berührt, es hat mich wütend gemacht, ich habe laut geschluchzt. Ich war kurzzeitig davon überzeugt, mich der "Free Jarvis" Bewegung anzuschließen. Aber so sollen gute Bücher sein, hm? Sie sollen beschäftigen, den Horizont erweitern. Ich fand es beispielsweise auch super interessant, zu sehen, wie anders hier Buddhismus dargestellt wurde im Vergleich zu diesem Buch. Das bestätigt nur wieder, dass keine Religion per se gut oder schlecht ist, sondern es kommt eben immer auf die Auslegung an...

Und mal ganz nebenbei hat mir das Buch auch sicherlich deshalb sehr gut gefallen, weil ich dort unglaubliche viele Überzeugungen von mir selbst wiedergefunden habe. Große Liebe für das KARMA ;) <3

"Ganz gleich ob du in eine privilegierte oder eine arme Familie, ob du gesund oder krank geboren wirst, all dies hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, denn das Leben ist nicht fair. Wenn Eltern ihr Kind verlieren, geschieht dies nicht wegen ihres Karmas. Aber die Situation, mit der sie danach konfrontiert werden, ist ihr Karma - also die Frage, wie sie auf die Sache reagieren. [...] Pema erklärte, dass es nicht entscheidend sei, warum Jarvis in San Quentin im Todestrakt war. Sein Karma äußerte sich in der Tatsache, dass er da war, und das Einzige, was zählte, sei, wie er mit der Situation umginge. Viele im Todestrakt verzehren sich in Bitterkeit, Rachegedanken, und manche würden sogar verrückt. Jarvis hatte einen anderen Weg gewählt, nämlich den Buddhismus mit all seinen Konsequenzen. Sie erklärte, dass in Bezug auf Karma nur zwei Fragen relevant seien: In welcher Lage befinde ich mich? Und: Wie nutze ich sie sinnvoll?"

JA MAN! Das ist einfach wieder ein gutes Beispiel dafür, dass Lesen bildet. Es ist egal, was du liest, Hauptsache, du liest! Man nimmt eigentlich immer was mit, sei es Wissen oder emotionale Bildung.
In diesem Sinne wünsche ich euch einen schönen Pfingstmontag und verabschiede mich mit dem besten Zitat aus dem Buch:

"Der Maßstab für den Fortschritt auf dem buddhistischen Weg ist nicht, ob man verhindern kann, zu fallen - denn das ist unvermeidbar -, sondern, ob man es schafft, wieder auf die Beine zu kommen."

Titel und Cover: Mag ich. Der Titel ist klar und jeder weiß, was damit gemeint ist. Ganz wie das Lied "Die Gedanken sind frei" ;) Und auch das schlichte Cover in den blauen Farben (die für mich Himmel oder Meer symbolisieren, also Freiheit) gemischt mit den Streifen, die an Gitterstäbe erinnern, ist das eine sehr gelungene Zusammenstellung!