Klappentext: Was ist Propaganda, was ist echt? Über keinen Teil der Erde ist die Informationslage verwirrender als über Russland. Da hilft nur: hinfahren und sich sein eigenes Bild machen. Zehn Wochen lang sucht Bestsellerautor Stephan Orth zwischen Moskau und Wladiwostok nach kleinen und großen Wahrheiten. Und entdeckt auf seiner Reise von Couch zu Couch ein Land, in dem sich hinter einer schroffen Fassade unendliche Herzlichkeit verbirgt.
Meine Meinung: Schon Couchsurfing im Iran hat mir ja wirklich sehr gut gefallen. Und meine Eltern haben mir dieses Buch an Ostern in die Hand gedrückt und haben mir eine riesige Freude damit gemacht. Der Untertitel allein kann ja nur neugierig machen. ich war sehr gespannt, ob Herr Orth mich zum Putin-Versteher machen würde. Um das schon mal vorweg zu nehmen: Nein, hat er nicht. Dennoch hat mir das Buch genau so gut gefallen, wie das erste.
Das liegt zum Einen an dem Autor selbst. Der ist mir nämlich über alle Maßen sympathisch. Ich mag die aufgeschlossene, neugierige und vorurteilsfreie Einstellung. Wie es der Klappentext selbst schon sagt, fährt Herr Orth einfach selbst an die Orte, über die wir anderen alle nur reden.
Er schreibt auf eine sehr bestimmte und humorvolle Art und kann über sich selbst lachen. Alles Eigenschaften, die ich super finde :) Und ein Bücherfan ist er auch noch. Top, der Mann!
Ich bin bekennender Billy-Regal-Voyeur, praktizierender Schrank-Analyst, heimlicher Buchrücken-Spion. Mir macht es große Freude, Spontan-Psychogramme von Menschen zu erstellen, die nur darauf basieren, welcher Lesestoff in ihrem Wohnzimmer steht. Das ist natürlich empörend unwissenschaftlich. Wer weiß, aus welchen Gründen die einzelnen Bücher dort gelandet sind. Doch es macht eben auch fürchterlichen Spaß.
Das mache ich auch gern. Genau so gerne analysiere ich die Einkäufe meiner Mitmenschen wenn ich an der Supermarkt-Kasse stehe. Ich versuche zu erraten, was aus den Sachen gekocht wird und gucke mir an, ob derjenige gesund lebt oder eher nicht. Macht das sonst noch jemand? :D
Zum anderen liegt das an der Reiseart. Ich finde Couchsurfing wirklich super interessant. Ich denke, dass das die beste Art ist, ein Land und die Leute authentisch kennen zu lernen. Für mich wäre das zwar trotzdem nichts, denn ich plane einfach zu gerne, fühle mich zu schnell störend und hätte auch ein wenig Angst, bei wildfremden Menschen zu schlafen, aber mir ist durchaus bewusst, dass ich mir dadurch sicher einige tolle Erfahrungen durch die Lappen gehen lasse. Manchmal muss ich schon sehr schmunzeln, wenn ich die Berichte von Herrn Orth lese. In Russland hat er z.B. bei einem Russen übernachtet, der so viele Regeln schon vor der Ankunft aufstellt, dass man Stunden braucht, um sich die Merkblätter durchzulesen. Und der auch nur die Leute bei sich aufnimmt, die eine in seinen Augen lustige, schlaue Bewerbung schreiben. Oder die junge Frau, die Stephan Orth während seines Aufenthalts bei sich schlafen lässt und die auf die Frage, ob sie als Frau keine Angst hat, fremde Männer bei sich aufzunehmen, eine überraschend toughe Antwort hat. Oder der 2. Weltkrieg-Fan, der Stephan Orth zu Kriegsdenkmälern schleppt....
Sehr kuriose Gestalten, die das Reisen sicherlich spannend machen.
Außerdem bin ich Geschichtensammler und so neugierig auf immer neue Begegnungen, dass ich noch nie im Leben Heimweh hatte. Warum auch? Es ist einfach zu spannend, wer hinter der nächsten Haustür wartet.
Zu guter Letzt sind es natürlich auch die Erlebnisse selbst. Herr Orth fährt nicht einfach nur zum Roten Platz in Moskau oder zur Eremitage in St. Petersburg, geht anschließend in einem Restaurant essen und macht Fotos davon. Er hört sich an, was die Leute zu erzählen haben, bei denen er übernachtet. Er fährt mit ihnen zu Lieblingsplätzen oder auch zu seltsamen Orten. Das Buch beginnt z.B. an der Diamantenmine Mir. Klingt erst mal spannend, ist aber einfach nur ein riesiger, hässlicher Krater. Die Mine wurde still gelegt, weil sie, wenn sie noch größer und tiefer geworden wäre, die anliegende Stadt verschluckt hätte. Nicht schön, aber selten.
Genau so interessant fand ich den mehrtägigen Ausflug von Stephan mit einer russischen Bekannten in die russische Pampa. Oder den Besuch auf der Krim, der besonders durch die politischen Auseinandersetzungen in den letzten Jahren sehr brisant ist.
Ihr seht, es gibt jede Menge Gründe, das Buch zu lesen. Ich muss gestehen, dass es meine Reiselust auf Russland nicht wirklich verstärkt hat. Die Menschen, die Stephan Orth dort kennen lernt, finde ich fast alle sympathisch, aber das Land ist mir zu korrupt, zu sehr von Kriegsfanatismus geprägt. Viele der Leute, die Orth besucht hat, haben auch schon ein bisschen resigniert.
"Wofür steht Russland?"
"Wenn ich das wüsste.", sagt Sascha. "Unsere Großeltern hatten den Krieg. Unsere Eltern hatten den Kommunismus. Sie hatten eine Idee, etwas, das ihrem Leben einen Sinn gab. Doch was haben wir?"
Und diese Putin-Verehrung wurde mir auch durch die Lektüre keinesfalls klarer. Es mag sein, dass er einigen Russen so etwas die Vaterlands-Stolz zurück gegeben hat, aber zu welchem Preis?
Nein es tut mir leid, aber hier ist es wie mit der Türkei. Gerne schaue ich mir das Land irgendwann mal an, aber dafür muss sich in der Führungsriege und in den Köpfen erst noch Einiges ändern. Und ich fürchte, das kann dauern. Ich habe einfach ein anderes Verständnis von Demokratie und Freiheit.
Interessant ist das Buch aber gerade deshalb sehr und ich freue mich über jeden, der es liest und mit dem ich danach drüber sprechen kann. Also nix wie hin, in die Buchhandlung eures Vertrauens.
Würdest du dieses Buch erneut lesen? Ja.
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