Mittwoch, 14. Mai 2014

Sechs Millionen Kekse im Jahr - Jessica Thom

Klappentext: Jessica Thom ist an Tourette erkrankt. Seit ihrer Kindheit wird sie von sprachlichen und körperlichen Tics geplagt. So sagt sie etwa 16 Mal in der Minute "biscuit" (das macht rund sechs Millionen Mal im Jahr!). Schwerer wiegen jedoch die motorischen Tics, die sie jederzeit überfallen können und für sie auch körperlich sehr gefährlich sind. Die junge Frau lässt sich allerdings nicht unterkriegen, im Gegenteil: Sie deutet ihre Erkrankung einfach in Superkräfte um. Auf ihrer Website Touretteshero bloggt sie beispielsweise ihre neuesten sprachlichen Tics, sie betreibt aber auch Aufklärung über ihre Erkrankung in Schulen oder tritt in Fernsehshows auf.
Wie sie dahinter ihren Alltag bewältigt und auch mit immer wieder auftretenden Rückschlägen fertig wird, beschreibt sie sehr eindrücklich, mit typisch britischem Humor, aber auch immer wieder ergreifend. Sie wird in ihrem Leben unterstützt von ihren Freunden und Verwandten, die ihre Tics ungewollt mit Namen belegt haben: etwa Fat Sister (ihre Schwester, aber gar nicht dick), King Russel (der Freund ihrer Schwester), Leftwing Idiot (ihr bester Freund und Betreuer, zwar kein Idiot, aber definitiv politisch links). In ihrem Buch schildert sie ein Jahr in ihrem Leben.

Meine Meinung: Und wieder mal ein Buchgewinn. Im Laden hätte ich es aber sicherlich auch in die Hand genommen, denn erstens ist es wirklich auffällig gestaltet und zweitens macht der Titel zwangsläufig neugierig. Denn sechs Millionen Kekse im Jahr sind selbst gesprochen schon ganz schön viel ;).
Ich habe mich sehr gefreut, als das Buch bei mir eintrudelte, denn ich muss gestehen, dass ich bei Tourette auch als Erstes an zuckende Menschen mit ganz obszönen Ausrufen denke. Zwar weiß ich, dass das nicht alles ist und dass auch nicht alle Touretter diese Art von Tics haben, aber ich habe mich einfach noch nie näher mit dieser Krankheit befasst.
Jessicas Buch war daher besonders spannend. Denn sie hat Tourette, hat sowohl sprachliche als auch motorische Tics und gehört auch noch zu den 10 % der Tourette-Erkrankten, die spontan und ohne Grund Beleidigungen und Schimpfwörter ausrufen.

Die Klappentextbeschreibung trifft das Buch übrigens sehr gut. Es ist ein Tagebuch von Jessica, in dem sie ganz unterschiedliche Dinge beschreibt: Den Verlauf ihrer Krankheit, ihre Arbeit, Umzug, öffentliche Verkehrsmittel etc. Denn alles, was für mich z.B. ganz normal ist, wird für Jessica jedes Mal eine Herausforderung. Es fängt natürlich schon damit an, dass sie immer schräg angeschaut wird. Sie muss sich immer und überall erklären und selbst danach wird sie oft nicht ernst genommen. Man kann sich sicher vorstellen, dass es nicht gerade förderlich ist, den Bahnangestellten zu beschimpfen, wenn man eigentlich wissen will, welche Bahn man nehmen muss. Oder dass es nicht gut ankommt, wenn man auf einen öffentlichen Bahnsteig auf einmal "Bombe!" schreit. Oder wenn man im Schwimmbad andauernd ruft, dass man ertrinkt. Aber genau das passiert Jessica ständig. Als würde die Krankheit sie zwingen, immer das zu sagen, was grade total unangebracht ist. Ihre Freunde kennen das zum Glück und helfen und erklären in brenzligen Situationen. Und ihre Eltern haben sich auch schon lange daran gewöhnt, von ihrer Tochter unabsichtlich beschimpft zu werden. Aber es gibt eben auch Situationen, in denen es schwierig wird. Denn wenn ich ehrlich bin, hätte ich am Anfang auch arge Bedenken gegenüber Jemandem, der mich als Sch.lampe bezeichnet.
Und genau so macht ihr ihr Körper zu schaffen. Teilweise kann sie nicht richtig laufen, fällt immer wieder hin. Teilweise kann sie nicht schlafen weil sie durch die Zuckungen ihres eigenen Körpers immer wieder wach wird. Sie schlägt sich am Tag so oft mit der einen Hand auf den Brustkorb, dass sie Handschuhe tragen muss, um ihre Finger zu schützen. Andauernd hat sie blaue Flecken. Scharfe Messer, Scheren, heißes Wasser....all das darf Jessica nicht anfassen, da sie sich damit schwer verletzen könnte.
Es ist faszinierend, wie gut sie ihr Leben trotz all diesen Schwierigkeiten meistert. Klar hat sie mal Durchhänger, aber eigentlich ist sie eine total lebenslustige und lebensbejahende Person. Und da sie ihre Krankheit selbst nicht immer ernst nimmt, kann man in dem Buch auch sehr oft schmunzeln. Beispielsweise, wenn sie eine Geranie beschimpft. Oder wenn sie ein "getictes" Gedicht zum besten gibt. Oder die Hochzeitsrede für ihre Schwester hält.
Ebenso interessant ist ein Tagebucheintrag, in dem sie mal so schreibt, wie sie spricht. Das ganze Buch ist ja normal geschrieben, weil sie ihre Tics, die sie denkt oder ausspricht, rausfiltert. Aber einen Beitrag hat sie ungefiltert aufgeschrieben, mit all den "Keks"en die aus ihr heraussprudeln.

Ein wahnsinnig interessantes Buch, dass nachdenklich stimmt und einen auch viel lachen lässt.
Unbedingt zu empfehlen!

(Bevor ich es vergesse: Gestern war ein wunderbar unspektakulärer Tag. Wegen dem doofen Wetter sind wir daheim geblieben und ich habe mit Tommy Kartoffelgratin gekocht und Breaking Bad geguckt *hihi*)
 

 

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