[.txt] ist ein Projekt von Dominik. Er nennt alle 3 Wochen auf seinem Blog ein zufällig ausgewähltes Wort und alle Mitschreiberlinge haben dann wiederum 3 Wochen Zeit, zu diesem Wort einen Text, ein Gedicht, einen Songtext oder ähnliches auf ihrem eigenen Blog zu veröffentlichen. Die gesammelten Werke findet ihr dann auch auf Dominiks Blog.
Das elfte Wort lautet "Schwermut". Hier musste ich auch nicht lange überlegen und schreibe über ein Thema, das mich immer mal wieder beschäftigt, in Form einer kleinen Kurzgeschichte. Und hier kommt die - diesmal sehr kurze - Definition vorab:
durch Traurigkeit, Mutlosigkeit und innere Leere gekennzeichneter lähmender Gemütszustand
Mit leicht zitternden Fingern schließt sie ihre Wohnungstür auf. In letzter Zeit braucht sie manchmal einen Moment, bis sie mit dem Schlüssel tatsächlich auch das Schlüsselloch trifft. An guten Tagen lächelt sie darüber. So ist das nun mal mit dem älter werden. Und eigentlich ist sie doch für ihre 80 Jahre sehr fit. Sie geht alleine einkaufen, sie hält ihre Wohnung alleine sauber....
Aber an schlechten Tagen nervt es sie. Ihr scheint, ihr Körper kommt einfach nicht mehr hinterher. Manchmal würde sie so gerne zur Haltestelle rennen, um den Bus noch zu bekommen. Das war doch früher kein Problem. Und manchmal würde sie so gerne selbst den Wasserkasten in den Keller schleppen, anstatt immer ihre Enkel oder ihren Schwiegersohn zu bitten. Und überhaupt...was soll das, dieses älter werden? Kann man nicht nur weise werden und der Körper bleibt fit? Oder wie bei Benjamin Button? Man wird einfach immer jünger? Dann käme das Schönste nämlich zum Schluss. Aber so machte das alt werden wirklich keinen Spaß.
Grade war sie in einem Altenheim am anderen Ende der Stadt gewesen. Hatte eine Freundin besucht, die bis vor wenigen Monaten noch ihre Nachbarin gewesen war. Über 50 Jahre hatten sie zusammen in diesem Haus gelebt und nun war sie fort. Eingesperrt in einem Haus, das sich "In Würde altern" auf die Fahnen geschrieben hat. Nix Würde. So was hatte sie da bei ihren zahlreichen Besuchen noch nicht gesehen. Ihre Freundin war schon vor ihrem Umzug in das Seniorenzentrum verwirrt, doch seit sie in das Heim umgezogen war, wurde es von Woche zu Woche schlimmer.
Man konnte ihr förmlich beim Verfall zusehen. Der Körper schrumpfte zusammen, die Bewegungen wurden immer zittriger, manchmal wusste Elsbeth schon gar nicht mehr, wo sie war oder wer ihr Besuch war. Das war nicht schön und die Besuche machten ihr schon lange keinen Spaß mehr. Aber sie fühlte sich verpflichtet. Wozu pflegt man Freundschaften?
Und sie hofft doch selbst, dass sie viel Besucht bekommt, wenn sie irgendwann mal umziehen muss in so ein Heim.
Hoffentlich wird sie nicht so abgeschoben wie Elsbeth. Als hätte die Familie sie gar nicht schnell genug in fremde Hände geben können. Innerhalb von einer Woche war alles beschlossen und Elsbeth wurde gar nicht gefragt. Schrecklich so was.
Andererseits....konnte man der Familie einen Vorwurf machen? Elsbeths Kinder hatten selbst Kinder, hatten Jobs, hatten ein eigenes Leben, um das sich auch gekümmert werden muss.
Sie selbst möchte ihrer eigenen Familie doch auch so wenig wie möglich zur Last fallen. Doch der Gedanke, von einem Tag auf den anderen hier weg zu müssen, aus ihren eigenen vier Wänden. Hier hat sie ihre beiden Töchter großgezogen, hier hat sie mit ihrem geliebten Ehemann gelebt, bis dieser vor vier Jahren an Krebs gestorben ist. Hier haben ihre Enkel einen Teil ihrer Kindheit verbracht. Sie kennt die heutigen Keller noch als Kohlekeller aus einer Zeit, in der der heutige Lebensstandart völlig undenkbar war.
Sie kann sich gar nicht vorstellen, woanders zu leben.
Sicher ist es mittlerweile einsamer geworden. Seit sie ganz alleine hier lebt, ist es so viel stiller. Vor allem ihr Mann fehlt ihr. Keine kleinen Sticheleien mehr wegen dem Haushalt, die eigentlich eh nur rhetorisch waren. Günter hatte sich immer nur um die Kartoffeln gekümmert. Schälen und schneiden. Und den Abwasch hatte er gemacht.
Aber dafür haben sie zusammen morgens in der Küche gesessen und den Tag gestartet. Sie hatte ihn nachmittags immer mit ein paar Keksen oder Bonbons verwöhnt und sie haben sich an die gute alte Zeit erinnert.
Ja...seit er weg ist, ist es stiller geworden. Das Einschlafen fällt ihr manchmal schwer, denn mit der Dunkelheit kommen bittersüße Erinnerungen an Zeiten hoch, die endgültig vorbei sind. Und auch die Gewissheit, dass es mit ihr irgendwann endgültig vorbei sein wird. Das Leben erscheint ihr längst nicht mehr so unendlich wie in ihrer Jugend. Und doch ist das Leben überraschend, auch im Alter. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie ohne Günter weiterleben sollte. Und nun hat sie es schon vier Jahre geschafft....
Ein Klingeln an der Haustür unterbricht ihre grauen Gedanken. Sie geht zur Tür und drückt den Knopf für die automatische Türöffnung. Als sie ihre Wohnungstür öffnet steht ihre Enkelin vor der Tür.
"Hallo Omi, ich hoffe, ich störe nicht."
"Ach wo...komm kein Kati."
"Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du Lust hast, mit zu Mama und Papa zu fahren. Wir wollten grade runterfahren und uns ein bisschen in den Garten setzen. Es ist zu warm zum Kochen und im Garten können wir vielleicht spontan den Grill anwerfen. Ich habe grade noch schnell einen Couscous Salat gemacht und Mama hat noch Würstchen eingefroren."
Eigentlich hatte sie sich auf einen gemütlichen Abend im Sessel vor dem Fernseher eingerichtet. Andererseits war es noch nicht sehr spät, die Abende waren zu dieser Jahreszeit noch lang und wieso sollte sie zu einem gemütlichen Beisammensein mit ihrer Familie nein sagen? Man wusste nie, wie lange sie noch so daran teilhaben konnte.
"Ja wieso eigentlich nicht? Ich komme gerne mit." antwortete sie lächelnd.
Ihre Enkeltochter hakte sich bei ihr unter und gemeinsam fuhren sie das kurze Stück zum Haus ihrer Tochter. Währenddessen plapperte ihre Enkeltochter vom Tag im Büro und von der Freude über das anstehende Wochenende.
Und als sie schließlich umringt von ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und ihren Enkeln im Garten auf dem bequemsten Stuhl von allen saß, sie mit großer Freude begrüßt worden war und sich soeben alle für ein gemeinsames Mittagessen am Sonntag verabredet hatten, da schmunzelte sie in sich hinein.
Diese Familie würde sie sicherlich nie im Stich lassen.
(Für alle Menschen, die merken, dass sie alt werden und sich manchmal einsam fühlen. Vor allem für meine Oma <3)
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