Sonntag, 2. April 2017

Die Zeit der Ruhelosen - Karine Tuil


Klappentext: Der Aufstieg des brillianten Managers Francois Vely scheint unaufhaltsam. Bis seine Ex-Frau sich aus dem Fenster stürzt, als sie erfährt, dass er wieder heiraten will. Der Tragödie folgt die Entdeckung, dass seine neue Lebensgefährtin in eine Affäre mit einem Offizier verstrickt ist, der völlig traumatisiert aus Afghanistan heimkehrt. Außerdem wird Vely ein Mediencoup zum Verhängnis, man bezichtigt ihn des Rassismus und Sexismus. Als er persönlich und beruflich am Ende ist, ergreift ausgerechnet der Politiker Osman Diboula Partei für ihn - dabei ist Diboula bekannt als Wortführer gegen eine weiße gesellschaftliche Elite. Wenige Wochen später kommt es im Irak zu einer Begegnung aller Beteiligten, die für Vely fatale Konsequenzen hat.

Meine Meinung: Und noch eines der vielen gewonnenen Bücher in letzter Zeit. Offenbar hatte ich jetzt wirklich auch mal wieder Glück, denn die Bücher sind auch noch alle gut. Das von Maria Duenas hat mir ja schon sehr gut gefallen und das ist bei diesem Buch hier nicht anders.
Die Leseprobe fängt so knallhart und erbarmungslos an, dass ich sofort völlig in den Bann gezogen wurde.  Der Offizier Romain Roller kehrt nach einem Einsatz in Afghanistan, während dem er mit seinen Männern in einen Hinterhalt geraten ist, traumatisiert nach Zypern zurück, wo er sich zusammen mit seinen Kameraden einige Tage in einem Luxushotel von den schrecklichen Ereignissen erholen soll. Doch der Luxus und das scheinbar alltägliche Leben setzen ihm sehr zu und er muss immer wieder an die schrecklichen Momente in Afghanistan zurückdenken. Dies geschieht mit unglaublicher Sprachgewalt. Allein für die ersten paar Seiten würde ich dieses Buch kaufen und am liebsten würde ich alles daraus zitieren.

Danach glaubst du, gegen alles gewappnet zu sein, du bist immer noch imstande, ohne Beruhigungsmittel und Alkohol einzuschlafen, du wirst nicht mitten in der Nacht durch Bilder von Massengräbern aus dem Schlaf gerissen, du hast Wünsche und Sehnsüchte, du gehst aus, du redest, ja, schon, aber wie lange noch, wie lange? Denn du kannst das Elend dieser Welt in unzähligen Variationen kennengelernt haben, wenn du nicht in Afghanistan warst, hast du nichts gesehen...

Er lernt vor Ort die Journalistin Marion kennen und sie ist die einzige, bei der er sich lebendig fühlt. Leider ist sowohl er verheiratet und hat einen Sohn, als auch sie. Ihr Mann ist kein geringerer als der steinreiche Francois Vely. Francois ist kultiviert, beherrscht und zielorientiert. Nie hatte er in seinem Leben ernsthafte Probleme und er ist es gewohnt, seine Ziele zu erreichen. Doch nachdem ein unglückliches Foto von ihm veröffentlicht wird, fällt seine über Jahre erarbeitete Welt zusammen.

Und dann ist da noch Osman Diboula. Ein in Frankreich geborener Schwarzer, der über den harten Weg in die Politik gekommen ist. Er hat nie an Eliteschulen studiert, er hat in den Banlieues für mehr Gerechtigkeit und weniger Gewalt gekämpft. Dadurch ist er näher an der Realität als die meisten, muss sich aber auch viel gefallen lassen, denn viele glauben, er sei nur wegen seiner Hautfarbe als "Quotenschwarzer" ins Team aufgenommen worden. Irgendwann platzt ihm der Kragen, woraufhin er aus dem Inneren Regierungszirkel ausgeschlossen wird.

Ein wahnsinnig aufwühlendes Buch. Ich liebe es, wenn ich beim Lesen mit Fragen konfrontiert werde, über die ich selbst stundenlang nachdenken könnte (und meistens dann auch tue). Wie wichtig ist Macht? Kann Macht von Dauer sein? Wie erlangt man Selbstbewusstsein zurück wenn man es einmal verloren hat? Wann hört Kunst auf und fängt Rassismus an? Ist man teilweise nur Opfer weil man sich selbst in die Opferrolle fügt? Wie sehr darf ein Mensch für einen Patzer bestraft werden?
Und die das Buch  beherrschende Frage: wie kann Krieg jemals sinnvoll sein? Wie können Menschen weiterleben, wenn sie monatelang im Kriegsgrauen gekämpft haben? Wie kann man noch Abends Cocktails trinken und ins Kino gehen wenn man doch weiß, dass im Irak Kinder mit Sprengstoffgürteln durch die Straßen laufen?
Das Buch hat mich unglaublich aufgewühlt und auf die meisten Fragen habe ich keine Antwort gefunden. Besonders der Part von Romain ist nachhaltig beeindruckend und die Vorstellung, dass sich jeden Tag Soldaten für ihr Land in das Grauen begeben, ist verstörend. Ob ihr Einsatz die Lösung für die Auseinandersetzungen ist, darf bezweifelt werden, aber auch eine Alternative fällt mir nicht ein.

Ich bin auf jeden Fall total begeistert von dem Buch. Die Geschichte ist so vielschichtig, dass ich hier noch seitenlang philosophieren könnte. Sehr gut gefallen hat mir auch, dass am Beispiel von Diboula gezeigt wird, wie schwer und kurzweilig Politik ist. Du wirst vielleicht heute noch geliebt, aber schon Morgen kannst du Ungnade fallen und all deine guten Aktionen sind vergessen. Politik führt außerdem zwangsläufig zu einer Art Selbstaufgabe und die wirkt sich auf dein Privatleben aus. Immens! Auch wenn ich wie alle anderen gerne auf die Politiker dieser Welt schimpfe: Ich würde den Job nicht machen wollen!

Das Cover ist wunderbar gewählt. Alle drei Hauptfiguren haben aus unterschiedlichen Gründen irgendwAnn das Gefühl, das Leben ziehe an Ihnen vorbei. Als würden sie nicht mehr dazu gehören. Das stellt das Cover sehr gut dar. Ebenso finde ich den Titel sehr gelungen. Ruhelos sind sie alle. Und ich denke dass es sich auch gut auf unsere gesamte Gesellschaft übertragen lässt. Viele sind heutzutage ruhelos, erschlagen von den Möglichkeiten, die sich in der heutigen Welt bieten und gleichzeitig verschreckt, weil alles schnelllebiger, kurzlebiger geworden ist.

Unbedingt lesen!

Würdest du dieses Buch erneut lesen? Sehr gerne.

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